- von Martina Goy -

DER RUF DER WILDNIS

So sieht also ein wettergegerbter Schlittenhund-Trainer aus. Ein Abenteurer, der mit seinen Huskys Hunderte von Kilometern auf Kufen über vereiste Fjorde und Gletscherspalten jagt und Touristen zeigt, wie man dem arktischen Winter mit seinen Stürmen trotzt. Ein Hamburger, der mit seiner Frau und 65 Hunden seit mehr als 20 Jahren in der Einsamkeit und Wildnis Nordnorwegens auf einem Bergbauernhof lebt. Ein unverbesserlicher Romantiker, der schon als 15-jähriger Schüler Überlebenstraining der leichten Art auf einer zweiwöchigen Wanderung allein von Kiel nach Flensburg die Ostseeküste entlang ausprobierte.

„Vielleicht wollte ich damals auch nur preisgünstig eine Zeit lang von zu Hause weg”, rückt Björn Klauer diese nette Jugenderinnerung zurecht. „Auf jeden Fall hat mich mein Verhältnis zur Natur schon damals intensiv beschäftigt.”
Der Mann trägt einen “grauen Rollkragenpullover zur Jeans, ist babyglatt rasiert und ordentlich gekämmt. Seine Brille hat einen schmalen Goldrand. Vom Aussehen her könnte er ein IT-Fachmann sein oder vielleicht auch Lehrer. Als Klauer gemeinsam mit Ehefrau Regina zum verabredeten Treffpunkt am Alsterpavillon kommt, unterscheiden sich die beiden mit Schlenderschritt und sonnengenießerischer Miene nicht vom Rest der Hamburger und Hamburg-Besucher, die an diesem herrlichen Herbsttag ebenfalls eine Kaffeepause am Wasser in der Innenstadt machen. Auf beider Kleidung fehlt zudem das verräterische Logo eines der gängigen Bekleidungshersteller, die sich auf Draußenaktivitäten spezialisiert haben. Soviel zum Thema Klischee und Erwartungshaltung. Jedes Jahr mindestens ein paar Wochen lang besuchen Björn Klauer, 52, und Ehefrau Regina Elpers, 45, die Hansestadt, seine Geburtsstadt. Dann gehen sie fein essen, ins Kino oder auch mal ins Theater, treffen Freunde und Bekannte. Alles Aktivitäten, die sie zumindest spontan in ihrer neuen Heimat Norwegen nicht machen können.
Dort draußen, kurz hinter dem Polarkreis, ist der nächst größere Ort mit Ärztezentrum, Schule und Einkaufsmöglichkeiten von ihrem abseits gelegenen Zuhause Innset 35 Kilometer entfernt. Wer da nicht perfekt organisiert ist, für den „wird der vergessene Liter Milch teuer”, sagt die gelernte Hotelfachfrau Elpers. Bis zur nächst größeren Stadt Tromsö, sind es 180 Kilometer. „Mal eben essen gehen oder ein Jazzkonzert besuchen, ist bei dieser Entfernung nicht drin”, sagt Klauer. Mann und Frau sehen bei dieser Aussage allerdings nicht so aus, als ob sie dieser Verzicht wirklich unglücklich machen würde.
Bis zum Blitzeinschlag der Liebe während eines Einwochenurlaubs bei dem bekannten Husky-Trainer verkaufte Regina Elpers Konzertkarten unter anderem für die Tournee der Rolling Stones. „Ein ziemliches Kontrastprogramm”, sagt sie. Dennoch zögerte die Vielreisende nicht, nach versuchter Pendlerbeziehung ihr bisheriges Leben aufzugeben und dem Mann ihres Herzens auf den einsam gelegenen Bauernhof zu folgen.

Im rustikalen Freizeit-Unternehmen ihres Mannes ist sie zuständig für die Gästebetreuung. Warme Duschen, herrliche Saunen und schneller Internetanschluss sind selbstverständlich im Gästehaus.
Derweil trainiert der Ehemann mit den Hunden und Gespannen. „Hinter unserem Haus ist nur noch Tundra”, sagt Klauer. Ideale Übungsbedingungen, um die Huskys vor allem für anstrengende und entbehrungsreiche Touren durch den arktischen Winter zu stählen. Mit dem Chassis eines ausrangierten Autos simuliert Hundeschlittentrainer Klauer das Ziehen der schwerbeladenen Schlitten.

Während ihrer Abwesenheit versorgen Freunde die Tiere auf der Huskyfarm. Nur deshalb können die Eheleute unbeschwert ihre Reisen genießen. In diesem Jahr hat der Abstecher in die Hansestadt einen festlichen Grund. Björn Klauers Vater wurde 8O Jahre alt, und aus diesem Anlass wurde mit rund 100 Gästen in Rahlstedt groß gefeiert. „Es war wunderbar, all diese Menschen wieder zu treffen”, sagt der Sohn.
Danach allerdings zog es den Auswanderer, der inzwischen auch die fremde Staatsbürgerschaft angenommen hat, wieder machtvoll zurück zu seinen Hunden und den gelassenen Norwegern und ihrer entspannten Sicht der Dinge. „Seit ich dort oben lebe, habe ich mir die Worte ,unbedingt’ und „ganz wichtig” abgewöhnt. Hier entscheidet die Natur den Lebensrhythmus.”
Bevor Klauer vergangenes Wochenende zurückreiste auf seinen Bauernhof, um dort mit den Vorbereitungen auf die Wintersaison zu beginnen, hielt er in den Räumen von Dr. Götze Land & Karte am Alstertor noch einen seiner inzwischen bundesweit bekannten Dia-Vorträge, wichtiger Teil des Lebens- und Arbeitskonzepts des Wanderführers, Hundezüchters und Buchautors. „Als ich damals nach Norwegen ging, da hatte ich den Traum, irgendwann vom Leben draußen in der Natur existieren zu können”, sagt Klauer. „Dass ich das wirklich schaffen würde, habe ich allerdings nicht geglaubt.”
Ohne Geld und im Rucksack nur das Nötigste trampte der damals fast 30-jährige Offsetdrucker von Hamburg aus, in das Land seiner Träume. Ein bisschen, um den Zwängen der Zivilisation zu entkommen, sicher, vor allem aber, weil er endlich wusste, dass seine Hinwendung zur Natur, seine Abenteuerlust, nicht nur eine vorübergehende Spinnerei war, sondern einer tief empfundenen Sehnsucht entsprang. „Ich bin kein Waldschrat, kein Sonderling”, sagt der kommunikative Herr Klauer, dessen munteres In-sich-ruhen selbst für gestresste Städter sofort spürbar ist. „Ich wollte einfach nur anders leben.”
Gewissheit darüber hatte er ein Jahr zuvor erlangt. Zwölf Monate lang war er 3500 Kilometer zu Fuß von Oslo zum Nordkap gewandert, die meiste Zeit an seiner Seite Grönland-Husky Keito. Den Ausstieg aus dem Job hatte sich der Möchtegern-Aussteiger radikal erspart. Als er pleite, aber glücklich seine Reise beendet hatte, war klar, dass er nicht zurück wollte und konnte in sein deutsches Leben.
Als Berater für die Druckindustrie hielt er sich zunächst im hohen Norden über Wasser, doch nebenbei schaffte sich Klauer auch schon die ersten Hunde an. „Ohne Huskys geht nichts im Schnee.” Ein erstes Buch über den Einjahres-Trip entstand, verkaufte sich gut, neugierige Touristen wurden per Zeitungsanzeige in Deutschland auf den Hamburger und seine Schlittentouren in Norwegen aufmerksam, buchten ihn. Inzwischen ist der Hundetrainer gut im Geschäft. Eine eigene Familie, die Huskyfarm mit Platz für 20 Gäste ergänzen sein persönliches Erfolgs-Puzzle. „Ich lebe das Leben, das ich mir erträumt hatte”, sagt Klauer.
Nebenbei macht er Expeditionen Fast im Stile des Eiswanderers Arved Fuchs, den er gut kennt. Die vorerst letzte Abenteuerreise ging mit 28 Huskys und sechs Gefährten 2001 per Schiff und Schlitten nach Spitzbergen. Dort suchte die Expedition die Hütte der Malerin Christiane Ritter, die in den 30er-Jahren dort mit ihrem Mann lebte. Zwei Jahre dauerte die Reisevorbereitung, zweimal musste das Schiff wegen heftiger Stürme wieder umdrehen. Sie trafen auf Trapper, Robben und Eisbären. Dann waren die Männer am Ziel’ „Ich habe als junger Mann Christiane Ritters Buch gelesen”, sagt Klauer. Der Klassiker der Arktisliteratur infizierte auch den Hamburger mit dem Ewigen-Winter-Virus. Ein Zustand, der sich bis heute nicht verändert hat.