Eine Tourenbeschreibung unserer Kebnekaise-Tour aus Teilnehmersicht.
Dieser Text wurde uns zur Verfügung gestellt von Jürgen Förster. Fotos: Jutta Förster

“Kebnekaise wir kommen”, so hieß es am Ende der letzten Jukkasjärvi-Tour, und drei der damaligen Teilnehmer ließ dieser Traum auch nicht mehr los. Und so machten sich dann im März zwei Jahre später fünf Männer, eine Frau und 52 Huskies auf den Weg.

13. März: Gerade noch in flotter Fahrt über den Torneträsk unterwegs, stoppt Jonny plötzlich nach den ersten Hügeln beim Aufstieg zur Lappjord-Hütte und zieht Jacke, Mütze und Handschuhe aus. Das kann nur ein schlechtes Zeichen sein! Denn auf drei Touren haben wir so etwas noch nie von unserem Guide zu sehen bekommen und sind daher gespannt, was jetzt folgen wird. Jeder kennt den Spruch: “Lächle, denn es könnte schlimmer kommen”. Auch wir Teilnehmer lächeln anfangs noch, aber es kommt viel, viel schlimmer.

Waren schon die letzten 2-3 km durch die Vorberge wegen vieler enger Passagen für die langen Gespanne eine Herausforderung gewesen, so folgt jetzt entlang des norwegisch-schwedischen Grenzzaunes ein Aufstieg der Klasse XXL. Bisher haben wir schon vier Pässe in der Reiseliste abgehakt, aber jetzt geht es über mehrere Geländestufen nahezu in der Falllinie nach oben. Tiefer Schnee verlangt Hunden und Menschen das Äußerste ab, zumal er mit jedem Gespann mehr und mehr die Konsistenz von grundlosem Morast annimmt. Einer passt auf die wartenden Gespanne am Fuße der Stufen auf, ein anderer auf die oben Angekommenen. Dazwischen mühen sich vier Menschen, zum teil bis an den Bauch in den Schnee einbrechend, zusammen mit den Hunden einen Schlitten nach dem anderen nach oben zu wuchten.

Irgendwann ist die Aktion geschafft und moderater weitersteigend erreichen wir kurz nach 17 Uhr die Lappjord-Hütte. Außergewöhnlich hübsch eingerichtet, erfreut sie uns mit einer fantastischen Aussicht über den Torneträsk, die Lappenpforte und das dahinterliegende Gebirge. In der klaren Nacht wirken Abisko und Björkliden in der Tiefe wie funkelnde Diamanten-Kolliers, und selbst Kiruna ist anhand seiner “Lichtkuppel” gut auszumachen. Darüber spannt sich noch das schönste Nordlicht der Tour – einfach traumhaft und eine schöne Entschädigung für die Plagerei des Tages. Gerade in solchen Augenblicken schweifen meine Gedanken zurück, und ich rekapituliere wie wir eigentlich hierhin gekommen sind.

Das Team

Begonnen hatte alles mal wieder in Bardufoss am Airport:
Jutta und ich treffen etwas früher ein und warten mit Jonny auf Wulf, unseren 3-Sterne-Outdoorkoch (davon später mehr), der mit uns schon die 2000er Tour verbracht hatte. Dabei lernen wir auch gleich Wolfgang, unseren vierten Mitfahrer kennen. Auch er ist, wie alle Tourenteilnehmer, ein “Wiederholungstäter”. Auf Jonnys Farm wird dann auch schnell klar, wer unsere Runde komplett macht. Wir treffen auf Uwe mit Familie. Uwe hatte früher mal Johnnys Huskies für eine Saison trainiert und ist nun mit einem gemischten Gespann aus sechs “Sibiriern” und sechs “Grönies” von den Gestaden des Mains in den hohen Norden gekommen, um die Kebnkaise-Tour auf eigenen Kufen mitzufahren.

Bechern mit Jägern

Am 1. März starten wir wie üblich in Innset am Altevatn. Zügig gelangen wir zum Lavvu und Tags darauf zur Politiodden-Hütte. Hier zelten drei norwegische Jäger auf Schneehuhnjagd. Als sie sich im Gegenzug zur Verkostung unserer Rumvorräte mit irgendwelchen obskuren Bränden revanchieren, räumen einige von uns schnell das Feld. Aber nicht alle. Das führt dann am anderen Morgen bei diesen zu ernsten Ausfallerscheinungen, die aber in Teamarbeit gut kompensiert werden.

Vielleicht ist es ja gerade das, was Jonny veranlasst, der nächsten Nacht auf unserem Weg nach Jukkasjærvi eine besondere Note zu geben. Etwa eine Tagesetappe von Jukkasjærvi entfernt biegt er plötzlich rechts ab, führt uns über einige verschneite Felsbrocken rumpelnd auf eine Lichtung in einem Wäldchen und macht unter einer mächtigen Kiefer halt. Voila! Euer Open-outdoor-Camp! Auf die Frage, wo denn das Zelt stehen soll, erklärt er kurzerhand, bei solch einem “milden” Abend (-18° C) brauche man kein Zelt, sondern nur ein großes Lagerfeuer.

Heute um eine tolle Erfahrung reicher, war ich an diesem Abend jedoch überzeugt, dass ich fürs “Indianerspielen” langsam etwas zu alt werde. Auch Wulf beklagt sich am anderen Morgen, dass er nicht gut geschlafen habe; sein Schlafsack sei so eng gewesen. Das führt gleich zu schallendem Gelächter aller Anwesenden, da Uwe ihm attestiert, er habe ja auch zu zweit mit “Captain Morgan” darin geschlafen. (“Captain Morgan” ist unsere Rumsorte.) Nach einem schnellen Frühstück und wunderschönem Trail erreichen wir dann Kenth Fjellborgs Sleddog-Kennel nahe Jukkasjärvi. Hier genießen wir wieder zwei Tage die Sauna und ergänzen unsere Vorräte durch eine Nachlieferung von Jonnys Frau. Janne ist an diesem Tag eigens ca. 240 km (eine Richtung) von Bardu über vereiste Straßen herübergekommen und muss wieder zurück.

Wasser

Schwerbeladen starten wir dann am 6. März, um über den zugefrorenen Rautasälven den Rautasjaure und damit den Einstieg ins Hochgebirge zu erreichen. Sagte ich “zugefrorener” Rautasälven? Ja – solange er relativ gerade verläuft. Aber schon an den ersten Biegungen zeigt sich das Eis zur Mitte des Flusses hin geneigt. Der Wasserstand ist jetzt bedeutend niedriger als im Herbst und Hochwinter, und somit zeigt das ansonsten komfortabel dicke Eis an manchen Bruchstellen das offen vorbeischießende Wasser.

Am Prallhang einer scharfen Flusskurve ist es dann soweit: Der weitere Weg besteht nur noch aus drei riesigen, zur Fluss-Seite und offenem Wasser hin geneigten Eisschollen, auf denen uns eine maximal drei Meter breite Durchfahrtmöglichkeit bleibt. Die Schlitten ist mit bis zu 120 kg beladen, kein Platz zum Wenden, und es besteht die Gefahr, bei -20° C ins Wasser zu fallen: Solch eine Situation mag man sich in kühnen Abenteuerträumen nicht vorstellen, geschweige denn sie in natura meistern müssen.
Nach einigen Diskussionen über das beste Vorgehen verkeilen sich drei der Männer hinter der oberen Eiskante; an den Schlitten werden seitlich Seile befestigt und dienen – von Mann zu Mann weitergereicht – der Absturzsicherung der Schlitten. Jonny und Uwe sind es dann, die die Gespanne Zug um Zug an dieser gefährlichen Stelle vorbeiführen müssen. Nach 1½ Std. schweißtreibender Arbeit ist es dann geschafft, und bis auf ein paar gerissene oder vor Aufregung durchgebissene Leinen sind auch keine Schäden zu verzeichnen.

Einen versöhnlichen Abschluß mit der Natur erfährt der Tag, als wir auf dem Rautasfjäll zur “blauen Stunde” unser Team-Zelt aufstellen. Das Licht wird an diesem Abend so ungewöhnlich gebrochen, dass nur die blauen Anteile übrigbleiben, die die Landschaft in eine fantastische Atmosphäre tauchen.

Kälte

Weiter geht es am nächsten Tag über den Rautasjaure, wo wir ein weiteres Naturphänomen kennenlernen: Eben noch fuhren wir bei moderaten -15° C in der Sonne, dann geraten wir in den Schatten eines Berges, und das Eis des Sees wirkt von unten als Kältespeicher. Das Ergebnis ist ein Temperatursturz auf -28° C innerhalb von 10 Minuten und wenigen hundert Metern. Es folgt unsere kälteste Zeltnacht mit mehr als -30° C, und am nächsten Morgen müssen wir dann bei Sturm den ersten Pass in Richtung Alesjaure erklimmen. Ca. 8 km vor den Alesjaure-Hütten erreichen wir den Kungsleden und gelangen in flotter Fahrt mit dem letzten Licht eben dort an.

Große Überraschung bei Jonny. Er trifft mit Michael einen früheren Tourenteilnehmer wieder. Damals verlief wohl alles nicht so harmonisch, aber jetzt freuen sie sich über das Wiedersehen und werden das damalige Erlebnis heute abend sicher “aufarbeiten” . Davor aber haben die Hüttenbauer viel Arbeit gesetzt: Stehen die Hütten doch ca. 120 Meter oben auf einer Anhöhe, die Sauna (muss an diesem Abend unbedingt sein) etwa 40 Höhenmeter darunter, und Wasser gibt’s nur am Eisloch unten am Fluss. Da auch die Hunde heute “gewässert” (=mit Kraftsuppe getränkt) werden sollen, müssen Unmengen Wasser herangeschafft werden. Als alle Behälter aufgefüllt sind, können sich einige von uns vom Eimertragen ohne Bücken die Fersen kratzen.

700 Meter?

Der nächste Tag bringt dann bei Sonnenschein und stahlblauem Himmel einen Husky-Trail vom Feinsten. Dem Kungsleden folgend, bewältigen wir vor atemberaubender Gebirgskulisse den Weg über den Tjäktja-Pass und stoppen schließlich nach Passieren der Sälka-Stugorna bei den Singi-Hütten. Hier machen Wolfgang und ich eine Erfahrung der besonderen Art. Ein Schild sagt: “zur Wasserstelle 700 m”. Dies ist sehr optimistisch ausgedrückt; mit unserer Pulka und zwei 30 Liter-Kanistern laufen wir über 1 km bis dorthin, und auf dem Rückweg wuchten und zerren zwei erwachsene Männer unter viel Mühe den ca. 70 kg wiegenden Schlitten zurück zur Hütte. Mein Gott, was leisten unsere Hunde da jeden Tag – unser Respekt vor ihrer Leistung ist seitdem enorm gestiegen.

Schlitten-Reparatur

Weiter geht es über den Sattel in Richtung Kebnekaise-Fjällstation und danach bei Nikkaluokta links ab ins wunderschöne Vistas-Tal. Hier soll es im Sommer Braunbären geben; wir dagegen hoffen, dass sie der Natur gehorchen und ihrem Winterschlaf frönen. Am nächsten Tag, der uns nach Abiskojaure bringen soll, steht uns laut Jonny “a hell of climbing” bevor. Wieder erreichen wir nach Bezwingen eines weiteren Passes den Kungsleden und befahren ihn nun in Richtung Norden.

Schlittenbruch

Der folgende Tag wird dann speziell für mich einer der härtesten in meiner Musher-Laufbahn. Ein gänzlich unkompliziert erscheinender Weg nach Abisko ist plötzlich von einer riesigen Eisfläche bedeckt. Alle Gespanne rutschen beim Überfahren die leichte Schräge nach links in die Birken hinab. Aber nur bei mir kracht richtig laut Holz auf Holz. “Oh Herr, lass es die Birke sein!” Aber nein, der Heckrahmen meines Schlitten ist gebrochen, und vom Handbügel fehlt ein ganzes Seitenstück. Die Reparatur aber muss noch etwas warten, heißt es doch für uns am Bahnübergang in Abisko, nach Fahrplan die Erzbahn Kiruna-Narvik zu kreuzen, um, ohne die Hunde zu erschrecken, zwischen zwei Zügen durchzuschlüpfen.

Dank einiger Holzschienen, dem Ableben einer jungen Birke und Johnnys Spezialknoten ist die Notreparatur nur noch die Sache von etwa einer Stunde. Zügig queren wir den Torneträsk und nehmen den Aufstieg zur Lappjord-Hütte in der eingangs beschriebenen Weise unter die Kufen.

Lemminge süß-sauer oder gegrillt?

Haben wir schon bisher mehrere “hells of climbing” durchfahren, so erwartet uns am Morgen nach Lappjord “the double hell of climbing”; müssen wir doch, noch ehe sich die Hunde eingelaufen haben, direkt steil bergauf den Kamm der Berge erreichen, die den Torneträsk vom Altevatn trennen. Auf diesem Weg läuft Wulfs Gespann ein einsamer, verschreckter Lemming über den Weg, der vom Leithund sogleich als kleine Mahlzeit zwischendurch verspeist wird. Dies aber hat zur Folge, daß unser Hobby-Koch für den Rest der Tour sinniert, ob erstens Lemminge essbar sind, und wie man sie zweitens am besten zubereitet: gegrillt? Gekocht? Süss-sauer? Oder wie?

Um aber Wulfs Leistung gerecht zu werden, muss ich hier erwähnen, dass er mit seinen unermüdlichen Kochideen, seinem geradezu sprichwörtlichen Improvisationstalent und den daraus folgenden exzellenten Mahlzeiten (bestens vorbereitet von Jonnys Frau) viel zur guten Laune und dem Gelingen der Tour beigetragen hat. Sein Standardspruch: “In zwe Minudde is de Reis ferdisch” ließ bei uns immer schon das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Zurück

Der Restweg übers Lavvu nach Innset ist dann im Handumdrehen erledigt. Die Hunde im Trailer verladen, aber nicht vergessen. Was bleibt, sind die Eindrücke einer fantastischen Landschaft, der immensen Leistungsbereitschaft der Hunde und das Gefühl, neue Freunde gefunden zu haben.

Mit 14 Tagen “on trail”, ca. 520 km Gesamtstrecke, 5 Pässen und etwa einem Drittel Zeltübernachtungen wird die Kebnekaise-Tour ihrer Stellung als “Sondertour” im Angebot von Jonny Gunnberg und Björn Klauer absolut gerecht: nichts für Anfänger im Bereich des Schlittenhund-Tourenfahrens, aber ein großartiges Erlebnis, das keiner, der dabei war, je vergessen wird.

Dennoch, der Abschied am 15. März fällt diesmal nicht so schwer – wissen wir doch schon, dass es heißt: Auf Wiedersehen an Silvester 2002/2003.

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